Zusammenfassung: Religionen und Gewalt. Die Verantwortung der Schweizer Medien.

Zusammenfassung: Religionen und Gewalt. Die Verantwortung der Schweizer Medien.
Mitschrift: Charlotte CORRODI

November 2014, Universität Basel

Vortrag: Umbruch der Weltpolitik und Umbruch der Medienwelt: Aufklärung, Verantwortung, Gefährdung

  • Roger de Weck (Generaldirektor SRG) Gesprächsleitung
  • Weltpolitik:
    Heute haben wir eigentlich in der Weltpolitik einen „Krisen-/Chaosbogen“, der von der Ukraine über Afghanistan, Libyen nach Schwarz-Afrika führt. Innerhalb dieser Regionen werden Grenzen neu gezeichnet, was bisher jedes Mal zu Blutvergießen und zu einem Verschwinden der Grenzen der Inhumanität führte.
     

    Während es in der Weltwirtschaft aktuell eine klare Tendenz zur Globalisierung gibt, ist in der aktuellen Weltpolitik eigentlich keine klare Entwicklung ersichtlich. Nach den beiden Weltkriegen (in welchen „der Feind/ das Böse“ klar definiert war), wurde nun erst in den Al Qaida Terroristen und dann im IS (beides Organisationen, die eine Art des Terrorismus, welcher sich auf den Islam bezieht, vertreten) ein neuer (sich selbst dazu erklärender) Feind gefunden. Betrachtet man jedoch diesen Konflikt, ist es einerseits wichtig zu beachten, dass die „Islamische Welt“ anders als der Okzident keine Aufklärung kannte, die den Vorrang der kritischen Vernunft über der Religion betont hat (Mohammed Arkoun, Universität de Sorbonne). Andererseits sollte nicht vergessen werden, dass es sich in erster Linie um einen Kampf innerhalb der „Islamischen Welt“ handelt, der erst in der Entstehung ist.

Medienpolitik:
Mit der Weltpolitik geht (wie mit allen sozialen Umbrüchen) eine Medienrevolution einher. Der Arabische Frühling, der Aufstand der Jugend in der Türkei und die Aufstände in Brasilien anlässlich der Fussball WM gehen einher mit neuen Medien im Internet. Nach dem Monolog (Fernsehen, Radio, Zeitung) wird nun ein Dialog, Interaktivität, möglich. Dadurch entstehen grössere Auswirkmöglichkeiten für jeden einzelnen Bürger während gleichzeitig die reellen Einwirkungsmöglichkeiten kleiner werden. Dies führt zu Spannungen, welche sich momentan v.a. in ärmeren Ländern zeigen, jedoch auch in den reicheren Ländern noch Auswirkungen haben sollten. Es steht also die Interaktivität, Ubiquität, Visualität (Bild+Ton+Text) der Doktrin, Unilateralität gegenüber. Die neugewonnene Visualität kann sich als Entfaltungsmöglichkeit aber auch als Herausforderung für die verschiedenen Religionen herausstellen (z.B. eine Herausforderung für den Protestantismus, der sich stark aufs geschriebene Wort bezieht).

 

  • Weltpolitik und Medienpolitik 
    Wenn man die Europäische Entwicklung vereinfacht anschaut, dann gab es eigentlich immer einen langen Krieg. Danach war die Hälfte der Bevölkerung tot und die andere Hälfte erschöpft. Die Jahre danach blieben friedlich, bis dann 20-30Jahre später der letzte Krieg vergessen war und ein neuer entstand. Nach dem zweiten Weltkrieg jedoch existierte die totale Katastrophe. Daher lag der Schock einiges tiefer. Zudem leben heutzutage die Menschen länger und erinnern so länger an die negativen Folgen des Krieges. Jetzt aber kommen jedoch erneut Hitzköpfe auf. Zudem gibt es teilweise eine gewisse Sehnsucht nach Doktrinen und man findet überall Fundamentalismus. Den mächtigsten Fundamentalismus stellt heutzutage vermutlich der Amerikanismus dar. Der Islamismus ist in der Hinsicht ein Spezialfall der grossen Fundamentalismen heutzutage, da er sich am direktesten auf eine Religion bezieht. Jedoch kommen solche Fundamentalismen in allen Religionen vor. Daher ist ein guter Dialog wichtig, da es mögliche „Pathologien“ in den Religionen (wie auch der Vernunft) geben kann (Beispiel für einen guten Dialog: Gespräch von Habermas und Ratzinger – gehen nicht auf die schlechtesten, sondern auf die besten Argumente des Kontrahenten ein).
    Ein zweites grosses Problem für den Journalismus ist die Inflation der Medienwelt: es gibt mehr Medien als Botschaften vorhanden sind. Daher wurden Content Provider eingeführt. Denn wer spektakuläre Informationen / Bilder bietet kommt heute an. Es gibt also einen Kampf um Aufmerksamkeit, der zur Kommerzialisierung und Boulevardisierung des Journalismus führte. Aus einer Nachricht (nach der man sich richtet), wurden News (Neuigkeiten) und daraus wurde schlussendlich Content (Inhalt). Der Anteil an wirklich kritischem Journalismus kann heute leider die Balance nicht wieder herstellen.     Auch ist heute vermehrt ein Populismus in den Medien ersichtlich. Nachdem der Kommunismus keine Gefahr mehr darstellte, verhärtete sich der Kapitalismus und liess dem Populismus mehr Platz.
    Der Populismus charakterisiert sich durch: Personalisierung, Vereinfachung, Unterhaltung, Vorliebe für den Konflikt, Bewirtschaftung der Emotionen, Gut vs. Böse, „wir“ vs. „ihr“ (und entspricht somit dem Boulevard). Wer also eine Show will ist gut bedient. Die Medienwelt ist somit ein Spiegel der Gesellschaft, die sie spiegelt
    .

  • Zudem lässt sich heute weltweit eine etwas paradoxe Tendenz beobachten: die Reprovinzialisierung der Medienwelt. Trotz Globalisierung nimmt der Auslandteil in vielen Medien nur einen geringen Platz ein resp. steht nur in brisanten Ausnahmefällen im Mittelpunkt.
  • Es stellt sich daher in diesem Zeitalter eine grosse Herausforderung für den Journalismus. Guter Journalismus besteht im Suchen, Prüfen, in den Zusammenhang stellen, Gewichten, Erklären, Kommentieren und etwaigen Korrigieren von Informationen. In diesem Umbruch, in welchem Religion Politik und Politik Religion beeinflussen kann, ist der Journalismus oft überfordert, da er keine klaren Kriterien zur Einordnung von Informationen findet. So kehrt er zum einfachsten Kriterium um die Welt einzuordnen zurück: Gut vs. Böse / Schwarz vs. Weiss.
  • Mit der Revolution der Weltwirtschaft wurden viele kleine Intermediäre durch einige wenige grosse Globalplayers (z.B. Google) „weggeputzt“. Dies führte zu einer Verunsicherung in der Gesellschaft und auch dazu, dass die Medien heute international tätig sind (z.B. Facebook). Man kann sagen, dass der Ultraindividualismus („ich“) heute gescheitert ist und einem Gruppenegoismus („wir“) Platz machte. 

     

     

     


    Jörg Stolz, Universität Lausanne
    Grundfrage:
    Wie werden Religionen und Religiosität in der Schweiz wahrgenommen 

  • Ich Gesellschaft:
    In den 60er Jahren geschahen einige strukturelle und kulturelle Veränderungen: die religiösen und moralischen Normen brachen zusammen, wodurch eine hohe Wahlfreiheit in allen möglichen Bereichen entstand. Säkulare Optionen machten religiösen Optionen Konkurrenz. Gleichzeitig gab es ein hohes Wirtschaftswachstum. Dadurch entstand ein säkulares Abdriften vieler Personen.
  • Typologie von Religiosität / Spiritualität:

Wahrnehmung von Religion an sich:

Einerseits ist ein Religionsrelativimus bemerkbar: Die Bewohner in der Schweiz haben ein zunehmend distanziertes Verhältnis zur Religion („Grundwahrheiten gibt es in vielen Religionen“). Andererseits zeigt sich eine vermehrt kritische Haltung: Religionen können auch gefährlich sein (z.B. Intoleranz, Konflikte). Daher finden die meisten Personen, dass „man seine Religion nicht zu stark ausleben darf“.

  • „Wir“ vs. „Andere“:
    Die meisten Religionsgemeinschaften grenzen sich von anderen Gruppen ab, um sich selbst zu beschreiben. („Ich als Teil der X mache das so… aber natürlich nicht so wie Y. Die sind komisch.“)

„gute“ vs. „schlechte“ Religionen      Am negativsten werden die Muslime bewertet, welche als gewalttätig, intolerant, fordernd und angsteinflössend wahrgenommen werden. An zweiter Stelle folgen mit einigem Abstand dann die Juden. Die am negativsten bewertete eigene Religion war der Katholizismus, der als veraltet, autoritär und machomässig wahrgenommen wurde.

Die Christen werden am positivsten bewertet, an zweiter Stelle kommen die Buddhisten welche als friedliebend, tolerant und offen gesehen werden. Die Gruppe, welche die Juden am positivsten sieht, sind „institutionelle“ Christen.


Varia:
-Buch mit noch mehr Informationen: Religion und Spiritualität in der Ich – Gesellschaft

Die Stichprobe der Untersuchung bestand nur aus Christen und Konfessionslosen.

Podiumsdiskussion mit den beiden Vortragenden, Janine Dahinden (Transnationale Studien, Migrationsforschung, Universität Neuchâtel),
Samuel M. Behloul (Islam- und Religionswissenschaft, Nationaldirektor von Migratio, Fribourg),
Axel Paul (Soziologe, Universität Basel) und unter der
Moderation von Antonio Loprieno (Rektor der Universität Basel)
:

  • Dahinden: Die Kategorie „Religion“ ist heute wieder viel stärker präsent (wir vs. sie) und gleichzeitig gibt es eine höhere Differenziertheit in Bezug auf die Religion
  • Behloul: 40% der Migranten heutzutage sind Katholiken -> das Problem scheint komplexer zu sein. Einheimische Katholiken finden, dass die eingewanderten Katholiken auf eine altmodische Art und Weise ihren Glauben ausleben. Gleichzeitig finden die eingewanderten Katholiken, dass die einheimischen Katholiken sich eher wie Protestanten bezüglich ihres Glaubens verhalten…
  • De Weck: Unsere Beurteilung der Religionen ist auch abhängig von der neuen Realität der Mediatisierung, der Verbildlichung (welche von Islamistischen Gruppen stark ausgenutzt wird). Diese Verbildlichung steht heutzutage im Kontrast zum bilderlosen Krieg durch Drohnen (Westen, USA), der sehr clean und weit weg wahrgenommen wird und sich durch eine völlig andere Sprache als die der Islamisten kennzeichnet.
  • Stolz: Heutzutage sind erstaunlich viele Menschen bereit ihr Leben für ihre Religion aufs Spiel zu setzen.
  • De Weck: Frage von
    Lopriano: Religion kann mindestens auf drei Arten verstanden werden: als historisches Phänomen, als politisches Phänomen oder als individuelles Phänomen. Der Journalismus fokussiert sich jedoch v.a. auf die Religion als politisches Phänomen. Wieso…? Antwort
    De Weck: Kein Wunder ist das so, denn ein grosser Teil der islamischen Welt befindet sich momentan im Umbruch. Die Religion als individuelles Phänomen ist in den Medien meist mit grossen Persönlichkeiten verbunden (Mutter Theresa, der Papst). Und im geschichtlichen geht es v.a. um Höhen und Tiefen einer Religion (wobei einzig die katholische Kirche als religiöse Grossorganisation bereits auf eine sehr beachtliche Lebensdauer zurückschauen kann).
  • De Weck: (auf die Frage, wie der Islam mehr positive Resonanz erlangen könnte?) Einerseits braucht es heutzutage mehr muslimische Journalistinnen und Journalisten. Andererseits sollte auch in der Fiktion das Einwanderungsland Schweiz besser repräsentiert werden (z.B. in Fernsehserien, Comics, etc.). Das gibt zwar wenig Aufsehen, führt aber zu einer gewissen Normalität. Übrigens kann der Kapitalismus auch als ein Religionsersatz gesehen werden: Der Ökonomismus, bei dem das wirtschaftliche Denken eine Dominanz über alles andere erlangt. Er ist heutzutage ein viel stärkerer Faktor als der Islam.
  • Behloul: Heute haben wir ca. 4.5% Muslime in der Schweiz. Eigentlich sollte der Islam eigentlich keine Gefahr darstellen, sondern eher die Rekatholisierung der Schweiz. Sowohl die Anschläge des 9/11 wie auch die Enthauptungsvideos der IS wurden sehr gut medial aufbereitet. Uns wurde gesagt: „So etwas haben wir noch nie gesehen.“ Das mag sehr wohl stimmen. Gleichzeitig heisst dies jedoch nicht, dass es „so etwas“ wirklich noch nie gab. Zum Beispiel während / nach der französischen Revolution oder im ehemaligen Jugoslawien oder in der ehemaligen Sowjetunion oder an anderen Orten / zu anderen Zeiten kamen ähnliche Ereignisse bereits vor. Es besteht daher eine grosse Verantwortung der Medien (z.B. auch geschichtliche Vergleiche mit anderen ähnlichen Ereignissen wären nötig oder eine Kontextualisierung). Heutzutage wurde teils die Propagandaabteilung der IS zum Content Manager der westlichen Medien. Das sollte eigentlich aber nicht der Fall sein. Wir erhalten so das Gefühl, wir lebten in einer heilen Welt, welche von Aliens/vom „Bösen“ attackiert wird. Die IS hat aber eigentlich nur Export-Ideologien.
  • Dahinden: Heutzutage gibt es über verschiedene Mechanismen eine Islamisierung der Migranten (durch das Verhalten der Normalbevölkerung). Z.B. werden sie ständig darauf hingewiesen Muslime zu sein, was teils dazu führt, dass sie sich mehr mit ihrer eigenen Religion auseinandersetzen.
  • Paul: Bei einer Analyse der Konflikte sollte versucht werden, die Religion so weit als möglich aus dem Spiel zu lassen. Man sollte sich dabei nicht von der Propaganda der IS verführen lassen, da es sich im Konflikt eigentlich um Machtkämpfe handelt. Gleichzeitig sollte das innere Verhältnis von Religion und Gewalt, welches seit jeher in allen Religionen in gewisser Weise besteht, untersucht werden (z.B. Askese, Ektase, Opferkulte, der Kampf gegen das Böse, etc.). Auch könnten die Ausgangsbedingungen die Entstehungsbedingungen/-umstände der Religionen und deren Einfluss auf spezielle politische Theologien einer Religion untersucht werden (z.B. das Christentum ist eine Religion, die sich als Religion im Imperium zu etablieren begann).

4 Gedanken zu „Zusammenfassung: Religionen und Gewalt. Die Verantwortung der Schweizer Medien.

  1. SalvaVenia

    Warum wurde da nur über die IS gesprochen und deren „Propagandaabteilung“ und nicht über die US-GB-F-Gemengelage, die diese Gruppierung überhaupt erst erschaffen hat und die IS aus der eigenen Agenda heraus steuert? Ein weiteres großes Versäumnis der „Leitmedien“ …

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  2. Pingback: INHALTSANGABE der BEITRÄGE | ISLAM HEUTE

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