Wolfgang Benz in der Roten Fabrik in Zürich am 10. Mai 2015
HERZLICHEN Dank an Dr. BENZ für die Überlassung des Textes
Islamfeindlichkeit und Antisemitismus: Feindbilder einst und heute(Vortrag in Zürich 10. Mai 2015)
Wenn eine Umfrage ergibt, dass 80% der Deutschen den Islam als „fanatische und gewalttätige Religion“ sehen, dann beruht diese Erkenntnis nicht auf der Beschäftigung mit Inhalten und Lehrmeinungen, nicht auf Kenntnis von Koran und Sunna, nicht auf dem Studium von Geschichte und Kultur des Islam. Die Umfrage spiegelt vielmehr Angst und Abneigung, stimuliert durch Ressentiments, deren Tradition weit zurückreicht. Die stereotype Wahrnehmung der anderen Kultur gründet sich auf überlieferte Konnotationen und Assoziationen, die Kerne der Argumentation im Diskurs über den Islam bilden und nicht mehr hinterfragt werden, weil sie Bestandteil überlieferten „Wissens“ sind.
Die derzeit mit mehr Leidenschaft als Sachkenntnis beschworene Gefahr einer „Islamisierung Europas“, ausgetragen in Kopftuchdebatten, artikuliert im Verlangen nach Minarettverboten, agiert mit hasserfüllten Tiraden in der Blogger-Szene, demonstriert von der Bewegung „Pegida“ auf der Straße, greift auf jahrhundertealte Deutungsmuster zurück. Feindschaft gegen den Islam argumentiert seit dem Mittelalter mit schlichten Thesen der Abwehr, die durch Koran-Polemik Religion und Kultur des Islam als inhuman denunzieren und durch kulturrassistische Postulate den Muslimen generell negative Eigenschaften zusprechen. Der aktuelle „islamkritische“ Diskurs hat erhebliche xenophobe Züge, bedient Überfremdungsängste, argumentiert durchgängig mit religiösen Vorbehalten, die seltsamerweise in den säkularisierten Gesellschaften Europas mit großem Ernst vorgetragen und nachempfunden werden. Die Vorstellungen von Despotie (beginnend in der Familie), immanenter Gewaltbereitschaft, verbreiteter Bildungsunlust reichen weit zurück. Sie werden bekräftigt durch Verweise auf aktuellen Terrorismus durch Islamisten und auf Unrechtsregime, die durch Terror im Inneren und Drohungen nach außen diskreditiert sind.
Die Strategie des islamfeindlichen Diskurses zielt dahin, den „Islam“ als Einheit erscheinen zu lassen, für die islamistischer Terror typisch ist. Dazu lassen sich die Traditionen der Wahrnehmung des Islam gut instrumentalisieren. Im Orientalismus und Antisemitismus des 19. Jahrhunderts entwickelten sich Feindbilder, die als vermeintlich dualer Gegensatz von „Semiten“ und „Ariern“ historisch wirkungsmächtig wurden. Dem christlichen Antijudaismus, der als religiöse Judenfeindschaft das Mittelalter und die frühe Neuzeit bestimmte, folgte der „moderne Antisemitismus“, der sich viel zugute hielt, dass er im Gegensatz zum Antijudaismus wissenschaftlich argumentiere und als Kategorie der Ausgrenzung nicht mehr die Religion sondern die „Rasse“ benutze. Inzwischen wissen wir, dass es gar keine Rassen gibt, aber die Stereotypen der Judenfeindschaft, die religiösen wie die rassistischen, sind immer noch verbreitet und werden ins Treffen geführt gegen die Juden. Dem rassistischen Nationalismus der deutschen Identitätsdebatte, die im Berliner Antisemitismusstreit 1879 gipfelte, folgte der wahnhafte Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten gegen die europäische Judenheit – argumentativ begleitet von axiomatischen Ressentiments als ideologischer Begründung.
Parallelen in der Emanzipationsdebatte des 19. Jahrhunderts gegenüber Juden (als Fremden oder Anderen) und in der Gegenwart gegenüber Muslimen sind unübersehbar. Die Tradition reicht weit zurück: „Türken“ waren im Hohen Mittelalter zu emblematischen Feinden des Abendlandes geworden. Sie spielten diese Rolle auch im verschwörungstheoretischen Kontext der Judenfeindschaft. So war 1321 in Südfrankreich der Vorwurf der Brunnenvergiftung an die Juden mit der Beschuldigung verknüpft, Muslime hätten sie dazu angestiftet. In der Reformationszeit gehörte zu den gängigen Anklagen gegen Juden, die in den Legenden von Ritualmord, Hostienfrevel und Brunnenvergiftung konkretisiert wurden, auch die Vorstellung, sie seien mit dem Teufel im Bund und paktierten heimlich mit den Türken. „Die Türkengefahr“ bildete seit dem Fall Konstantinopels einen Topos, der dank dem neuen Medium Buchdruck rasch omnipräsent wurde. Das Bild von der Türkengefahr war anschlussfähig. Die Belagerungen Wiens nährten die historischen Ängste der Europäer mit nachhaltigen Folgen: Die derzeitige populistische „Islamkritik“ arbeitet mit den gleichen Mitteln, wenn sie Hass gegen die fremde Kultur predigt und Intoleranz propagiert. Der mit religiösen Argumenten gegen die Muslime als Fremde geübte aktuelle Kulturrassismus der Mehrheit steht in der Tradition der Judenfeindschaft, die als theologisch begründeter Antijudaismus begann.
Die Vorbehalte gegen Juden waren, seit sich das Christentum im 3./4. Jahrhundert als Staatsreligion im Römischen Reich durchgesetzt hatte, zunächst auch im Mittelalter ausschließlich religiöser Natur. Erst im 19. Jahrhundert entstand als neue Form der Judenfeindschaft der rassistisch motivierte „moderne Antisemitismus“.
In der Zeit der Aufklärung mit der von Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn propagierten Idee der Toleranz gegenüber Juden wurde der Weg zur Emanzipation, d.h. der rechtlichen Gleichstellung als Bürger, bereitet. Aber der Widerstand gegen die Gleichstellung der Juden mit den Christen, die Bürgerrechte und damit Sicherheit genossen, war beträchtlich und populär. Ins Treffen geführt gegen die Minderheit wurden theologische Argumente, die das Außenseitertum der Juden begründen und verfestigen sollten. Der wahrscheinlich wirkungsmächtigste Judenfeind, der seinen Judenhass als Frucht jahrzehntelanger Gelehrsamkeit agierte, war Johann Andreas Eisenmenger, geboren 1654 in Mannheim (dort ist er 1704 auch gestorben). Er war ab 1700 Professor für orientalische Sprachen in Heidelberg. Sein zweibändiges, 1700 im Selbstverlag publiziertes Werk „Entdecktes Judentum“ war das Initial einer Judenfeindschaft, die in der Tradition des christlichen, religiös fundamentierten Antijudaismus argumentierte, aber die Säkularisierung der Judenfeindschaft durch Zuschreibungen über ihr Wesen und ihren Charakter vorbereitete und die wichtigsten Stereotypen über „Die Juden“ dauerhaft fixierte.
Die Wirkung Eisenmengers bestand in der Installation der Vorstellung vom Juden, der durch die Lehren seiner Religion zu abscheulichen Handlungen im täglichen Leben verpflichtet sei, zu Handlungen wie Betrug, Diebstahl, Wucher, sexueller Lüsternheit, und zwar immer gerichtet gegen Nichtjuden: Eisenmenger stützte sich auf die Exegese des Talmuds und rabbinischer Literatur. Eisenmenger war der Wegbereiter für einen Judenhass, der die Denunziation des Talmuds als geheimnisvoller Gebrauchsanleitung jüdischer Heimtücke propagierte. Talmudhetze wurde gängiges und dauerhaftes Ingredienz der Judenfeindschaft. Mit der Autorität des Gelehrten, dessen Aussagen vom Publikum nicht überprüft und schon gar nicht falsifiziert werden können, suchte Eisenmenger mit Zitaten aus den religiösen Schriften zu beweisen, dass die Juden nicht nur ungestraft sondern durch religiöses Gebot sogar dazu angehalten seien, den Christen zu schaden. Dem Gelehrten folgten viele Epigonen.
Besonders vulgär bediente sich der katholische Theologe August Rohling (1839-1931) der Eisenmengerschen Methode. 1863 zum Priester geweiht, 1877-1885 Professor an der deutschen Universität Prag, propagierte Rohling die Legenden vom Ritualmord und über Hostienschändungen durch die Juden. Auch Rohling polemisierte in der Rolle des Fachmannes gegen den Talmud und argumentierte (obgleich er des Hebräischen nicht mächtig war) mit aus dem Zusammenhang gerissenen Talmudzitaten. Rohlings Schriften wurden von der Amtskirche als obszön abgelehnt, sie entzog ihm die Lehrerlaubnis. Publizistisch erreichte Rohling mithilfe der Wortführer des Antisemitismus in Österreich, Karl Lueger und Georg Heinrich Ritter von Schönerer und des Bonifatiusvereins in Deutschland viele Katholiken. Weit verbreitet und einflussreich war die 1871 erstmals veröffentlichte Schrift „Der Talmudjude“. Rohlings antijudaistische Agitation wurde noch vom Nationalsozialisten Julius Streicher als Referenz und Quellenmaterial des aggressiven „Stürmer“-Antisemitismus in Anspruch genommen.
Nach dem Vorbild der Talmudhetze gegen Juden entstand zwei Jahrhunderte später die Koranhetze gegen Muslime. Die Argumentation der „Islamkritiker“ folgt spiegelbildlich den Mustern der Judenfeinde. Das Böse, das ihnen ihre Religion angeblich gegen „Ungläubige“ auszuüben befiehlt, wird jetzt mit Suren aus dem Koran begründet. Wutgeschwollene Bürger mit Überfremdungsangst bedrängen den Referenten über Muslimfeindschaft mit der bohrenden Frage „Wissen Sie nicht, dass Muslime in so und so viel Suren des Korans zur tödlichen Gewalt gegen Andersgläubige aufgerufen werden?“ Und plädieren damit dafür, alle Muslime unter Generalverdacht im Namen einer Religion zu stellen. Man glaubt sich, ob der monoton vorgebrachten Gewissheit solcher Behauptung, von Islamwissenschaftlern umzingelt. Aber wie einst die Judenhasser Eisenmenger oder Rohling auf Mutmaßungen mangels Sachkompetenz angewiesen waren, so behaupten die heutigen Stichwortgeber der Muslimfeindschaft, Publizisten wie Raddatz und Ulfkotte, der Islam gebiete als Religion den Muslimen Gewalt gegen Nichtmuslime.
Dass Repräsentanten des Islam sich von Gewalt und allen anderen bösartigen Mutmaßungen über den Islam distanzieren, beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit der zweifelhaften Experten bei ihrem Publikum nicht. Die Absicht der Ausgrenzung ist deutlich erkennbar, Muslime sollen, auch wenn sie längst loyale Bürger der Schweiz oder Deutschlands sind, Fremde bleiben, die stigmatisiert sind durch Herkunft, Kultur und Religion. Beklagt wird in gleichem Atemzug die angeblich fehlende Bereitschaft von Muslimen zur Integration. Angesichts der tatsächlich weit vorangeschrittenen und vielfach längst vollzogenen Integration muslimischer Mitbürger ist darüber nicht weiter zu diskutieren. Wohl aber darüber, ob die Angebote von Christen und Juden zum Dialog auf Augenhöhe ausreichend sind. Vielversprechende Anfänge sind zu konstatieren, aber viel mehr an Begegnung, an praktischer, an alltäglicher Gemeinsamkeit ist noch notwendig.
Neben den Terroranschlägen in Frankreich, neben der Trauer um Journalisten die für die Pressefreiheit ermordet wurden, und Juden, die als Geiseln Opfer islamistischer Gewalt wurden beunruhigt uns ein neues Phänomen. Es heißt Pegida. Die Abkürzung steht für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Wie Islamisten den Islam für ihre Zwecke missbrauchen, so ist die Methode der Pegida-Bewegung nichts anderes als freche Usurpation. Der Anspruch, europäischen Patriotismus zu verkörpern ist absurd, denn einen solchen gibt es nicht ohne die gelebte Idee der Toleranz. Auch der Diebstahl der Parole „Wir sind das Volk“, mit der Bürger das Unrechtsregime der DDR besiegten, ist Anmaßung. Als „Bewegung“ hat sich Pegida rasch erledigt, als Haltung, als Attitüde der Angst und Abwehr, wird diese Art von Fremdenfeindschaft fortleben.
Das Abendland schließlich, in dessen Namen die Dresdner Bewegung und ihre Ableger agierten oder noch agieren, ist ein fragwürdiger Begriff. Das Abendland ist ein Mythos: er steht für eine Wertegemeinschaft, die griechisch-römische Philosophie mit christlichem Denken verbindet und den Eindruck erweckt, als habe sich die Antike im Christentum vollendet. Der Begriff ist immer als Kampf- oder Ausgrenzungsbegriff verwendet worden.
Wie inhaltsleer und dehnbar der Begriff Abendland war, zeigt sich auch darin, dass er sich immer auch gegen die Juden richtete. Das erscheint als die dreisteste Usurpation. Doch in jüngster Zeit wurde – nachdem Millionen Juden ermordet wurden – die jüdische Religion einbezogen, wenn es um die Abgrenzung gegen Muslime geht. Nicht nur Demonstranten bei den Pegida-Veranstaltungen beschwören die christlich-jüdischen Werte des Abendlandes, auch Politiker deklamieren den Spruch und in den Medien ist er präsent.
Das Ziel vernünftigen Strebens ist nicht die Rettung des Abendlandes durch dubiose rechtslastige Fanatiker, sondern eine offene friedliche, demokratische, interkulturelle, religiös und rechtlich tolerante Gesellschaft. Dazu ist statt dumpfer Abwehr und stumpfem Beharren auf dem Eigenen das Aufeinanderzugehen notwendig, der Dialog und der Austausch, voneinander zu lernen, um einander zu verstehen und zu akzeptieren.